Liebe Patient*Innen, liebe Qigong-/TaiJi-Übende,
liebe an der Chinesischen Kultur und Medizin Interessierte -
ich begrüße alle herzlich im Sommer des Tiger-Jahres 2022! Ich wünsche allen alles Gute, viel Kraft, Gesundheit und ja, viel Optimismus und Konstruktivität – im Jahr, wo der zerstörerische, barbarische Krieg in Europa herrscht. Möge das Dao die politischen Mächtigen gut und weise in Richtung Frieden und Wohlstand leiten!
Herzliche Grüße aus der Praxis für Akupunktur, Qigong & Taiji
von Marzena Stana
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„Nei Jing“ - Des Gelben Kaiser’s Klassiker der Inneren Medizin
Das „Nei Jing“ ist eins der ältesten bekannten Klassiker der chinesischen Kultur, Philosophie und Medizin und stammt - so die Schätzungen - aus dem Jahre ca. 221 v.Chr. Das Werk überliefert eine der ältesten und wichtigsten chinesischen Quellen der Weisheitslehre darüber, was es heißt, gesund und harmonisch zu leben, um Langlebigkeit und Glück zu erlangen. Die Aussage: „jede und jeder in China kennt ‚den Gelben Kaiser‘ “ wird wohl die Wirklichkeit kaum verfehlen. In den meisten chinesischen Buchhandlungen, groß oder kleiner, findet der oder die Suchende irgendwo in den Regalen mindestens eine der verschiedenen Ausgaben vom „Gelben Kaiser“ - oft mit diversen Illustrationen aus unserer Zeit versehen, um mit Bildern mehr die Leser:innen anzusprechen. Alle werden damit eingeladen, sich ein Bild zu machen, was die eigentlichen Wurzeln der traditionellen Chinesischen Kultur sind, zumindest was die Medizin betrifft, die als gesunde Lebensführung zu verstehen ist.
Das „Nei“ bedeutet „Innen“, „Jing“ ist eine (klassische) Schrift. Das „Nei Jing“ könnte also als „Klassiker des Inneren“ oder: „.. der Inneren Medizin“ übersetzt werden. Es besteht aus zwei Teilen:
Teil 1 ist das allgemein mehr bekannte „Suwen“, also: „Die einfachen Fragen“ (…des Gelben Kaisers an den Medizin-Weisen Qi Bo), oft abgekürzt als „Der Gelbe Kaiser“.
Teil 2 - das „Lingshu“, bzw. das „Zhen Jing“, also die klassische Schrift der Akupunktur und Moxibustion. (Unter Moxibustion wird das Erwärmen der Akupunktur-Punkte mit sog. Moxa-Kraut verstanden. Sie zählt eigentlich als Methode der Akupunktur.)
Ich möchte Sie einladen, durch einige Kapiteln/Passagen der „Einfachen Fragen“ mit mir gemeinsam zu gehen – wir fangen hier mit dem Kapitel 1 an – und sich anzuschauen, welche Aktualität die dort getätigten Aussagen heute haben können.
Das „Suwen“, wie angeblich viele chinesische Klassiker, besteht aus 81 Kapiteln und wurde in Form eines Dialogs verfasst - zwischen dem Gelben Kaiser, einen angeblich tatsächlich in früheren Zeiten, geschätzt: im 27.Jh. v. Chr., lebenden wahren Kaisers Chinas, und seinem weisen Lehrer mit dem Namen Qi Bo. Ich werde mich an einige bekannte Übersetzungen halten. Zu meinen favorisierten gehört die Übersetzung und Interpretation von Dr. Maoshing Ni [1], sowie ein original chinesischer Text, den ich in Form eines illustrierten Buches in einer chinesischen Buchhandlung in Guangxi in China erworben habe [2].
Suwen, Kapitel 1:
Übersetzungen des Titels aus 4 Ausgaben des „Gelben Kairser’s“:
- „Die universelle Wahrheit“ (Maoshing Ni, [1])
- „Eine antike Abhandlung über die Unschuld“ (freie Übersetzung aus [2], s.o.)
- „Über das wahre Qi des Himmels im Hohen Altertum“ (Paul Unschuld, [3])
- „Der himmlische Urbeginn“ (Nguyen Van Nghi [4])
(„)* Der Gelbe Kaiser galt schon früh als wahres Wunderkind. Er wuchs heran und erwies sich als aufrichtiger, weiser, ehrlicher und mit dem Volk mitfühlender Mann. Er war gierig nach Wissen und studierte fleißig. So erkannte ihn das Volk an und wählte zum Kaiser.
In seiner Wissensgier interessierte er sich vor allem für Medizin, Gesundheit, Lebenswege, Ernährung und Daoistische Religion.
Seine erste Frage an Meister Qi Bo war die:
Meister, ich habe gehört, dass früher Menschen sehr lange gelebt haben, viel länger als jetzt. Woran lag es? Wurde die Umwelt inzwischen so unfreundlich dem Menschen gegenüber oder lebt der Mensch nach falschen Prinzipien?
Qi Bo antwortete:
Früher praktizierten die Menschen das Dao, den wahren Weg des Lebens. Sie verstanden es, den Alltag im Einklang mit dem Gleichgewicht zwischen Yin und Yang zu gestallten. Sie beobachteten die Wandlungen in der Natur - wie der Tag zur Nacht wird, wie der Frühling sich über den Sommer und Herbst zum Winter wandelt - und versuchten, das Gleichgewicht der sich wandelnden Energien, ähnlich wie die Natur es tut, im eigenen Leben so gut es geht einzuhalten. Sie entwickelten dazu Techniken, die sich von Familie zu Familie unterschiedlich darstellten, aber folgendes gemeinsam hatten: körperliche Dehnungen und Massagen, meditative Atemtechniken, Meditationen, deren Ziel das Erreichen der Leere im Geist war und dadurch der absoluten Entspannung. Damit waren Sie in der Lage, Energie durch spirituelle Entspannung auf kleinster Flamme zu halten und damit am effektivsten zu sparen und zu nähren. Sie aßen ausgewogen und regelmäßig. Sie vermieden jede geistige und körperliche Überanstrengung. Sie meditierten, um im Einklang mit dem Universum zu sein. Sie waren maßvoll und gingen zu bestimmten Zeiten schlafen, um die am Tag verbrauchte Energie am nächsten Tag wieder zu erlangen.
So war es ihnen möglich, länger als 100 Jahre zu leben. Kurz gesagt: durch das Maß-Halten, durch Körper-Entspannung und gute Ernährung - sowohl des Körpers als auch des Geistes.
Heute ist es leider nicht so. Die Menschen trinken Wein, wie Wasser, geben sich zerstörerischen Aktivitäten hin, erschöpfen dadurch ihr Jing (körperliche Essenz, die in der Niere gespeichert ist) - und vergeuden mit alledem ihr Qi, die körperliche und spirituelle Energie. Viele wissen heute nicht um die Geheimnisse der Pflege der Energie und Lebenskraft. Deshalb leben sie viel kürzer und sind oft schon ab dem 40-sten oder 50-sten Lebensjahr sehr erschöpft.
Das Geheimnis der früheren Menschen lag darin, sich vor krankmachenden Faktoren zu schützen. Sie wussten, dass der Geist Ruhe bewahren und exzessive Wünsche und Phantasien vermeiden muss. Sie strebten die natürliche Klarheit und Reinheit des Geistes an. Nur so lassen sich Krankheiten vermeiden. Nur so kann Arbeit nährend und nicht erschöpfend sein. Ihr schlichtes Leben führte sie zur Zufriedenheit. Sie begnügten sich mit einfachem aber nahrhaftem Essen, ihre Kleidung war stets dem Wetter angemessen. Zufrieden mit ihrem Platz im Leben waren sie frei vor Eiversucht oder Neid. Sie verspürten Mitleid mit anderen Menschen, Lebewesen und Natur, und standen ihnen hilfreich zur Seite. Sie waren ehrlich und nicht zerstörerisch. Auch bei Schwierigkeiten, die auf sie zukamen, blieben sie ihren Prinzipien treu. Sie behandelten andere Menschen gerecht, ungeachtet deren Geisteskraft oder sozialem Rang.
Huang Di: Worauf ist es zurückzuführen, dass die Zeugungskraft im späteren Alter abnimmt? Ist es erblich?
Qi Bo: Es ist die allgemeine reproduktive Physiologie. Das Leben einer Frau ist in 7-Jahres-Abschnitte geteilt. Das des Mannes: in 8.
Die Nieren-Energie erreicht bei einem 7-jähriges Mädchen die höchste Kraft - alle Zähne sind entwickelt und die Haare wachsen. Mit 14 Jahren erreicht das Mädchen die Fruchtbarkeit - das Tiankui (Menstruationsblut bei Frau) kommt. Das Ren-Konzeptionsgefäß und das Chong-Durchdringungsgefäß erreichen langsam ihre Bereitschaft zur Empfängnis. Mit 21 ist die Nieren-Energie am stärksten, die Weisheitszähne kommen durch und das Leben ist in voller Blüte. Mit 28 sind Knochen und Sehnen gut entwickelt, das Haar und die sekundären Geschlechtsmerkmale sind ausgebildet. Dies ist der Höhepunkt der Entwicklung. Mit 35 Jahren beginnen die YangMing-Leitbahnen (Magen-Dickdarm) sich zu erschöpfen, die Muskeln werden langsam schwächer, es kommen die ersten Falten im Gesicht und das Haar wird matter. Mit 42 erschöpfen sich die Yang-Meridiane: TaiYang, ShaoYang und YangMing - das Gesicht verändert sich, die Haare beginnen zu ergrauen. Mit 49 sind Ren- und Chong-Mai, die Gefäße (Meridiane), die für die Fruchtbarkeit stehen, schon so gut wie ganz erschöpft - die Menstruation hört auf und die Phase, in der die Frau Kinder gebären kann, ist zu Ende. Es beginnt dann die Zeit der tieferen Reife.
Beim Mann erreicht die Nieren-Energie mit 8 Jahren den Höchststand. Die Zähne erscheinen voll und das Haar wächst. Mit 16 ist die Energie mächtig: Tiankui (Essenz, Spermien) und Jing sind reif, so dass Fortpflanzung möglich ist. Mit 24 ist das Nieren-Qi sehr reichlich, die Knochen und Sehnen erreichen ihre volle Stärke, die Weisheitszähne zeigen sich. Mit 32 hat der Körper seinen Höhepunkt erreicht und die männlichen Funktionen stehen in voller Blüte, bis der Mann 40 wird und sein Nieren-Qi zu welken beginnt. Die Zähne werden lockerer, die Haare fangen an auszufallen. Mit 48 nimmt das Yang des Kopfes ab, das Gesicht wird fahl, die Haare grau und die Zähne schwächer. Mit 56 wird die Leber-Energie schwächer, so dass sich die Sehnen steifer anfühlen. Mit 64 vertrocknet das Tiankui und Jing versiegt, was sich in einer Erschöpfung, Müdigkeit und Schwäche manifestiert. Das Ende des Zeugungsalters wurde allmählich erreicht - die Zeit der Altersreife beginnt.
Huang Di: … ich habe aber gesehen, dass manche ältere Menschen doch noch zeugungsfähig sind…
Qi Bo: Ja, das kommt vor, insbesondere, wenn das Leben gut geführt wird, kann der Mensch die Energie länger erhalten und dem Dao folgen.
Huang Di: … ich habe von Unsterblichen gehört, die die Geheimnisse des Universums kannten und Yin und Yang verstanden uns praktizierten. Die übten sich in verschiedenen Techniken wie Daoyin und Qigong, mit Atem- und Visualisierungsmethoden, um Körper und Geist zu einen. Sie alterten kaum und vollbrachten außerordentliche Leistungen. Könnt Ihr mir von Ihnen berichten?
Qi Bo: diese Unsterblichen sammelten ihre Energie an einem Punkt, benutzten die heiligen Laute und brachten damit Ihren Körper in Einklang mit der Natur der Umwelt. So konnten sie die Grenzen der Biologie überschreiten. Die „vollendeten“ Menschen verfügten über höchste Tugenden, verstanden den Weg des Lebens, und konnten sich an das Universum anpassen. So konnten sie ihre mentale Energie konzentrierend bewahren. Die lebten nicht wie gewöhnliche Menschen, die tendenziell Raubbau mit sich selbst betreiben. Sie waren fähig, durch Zeit und Raum zu streifen, denn sie ließen sich nicht durch die konventionelle Sicht davon einschränken. Ihre Sinneswahrnehmungen überschritten das normale Maß der anderen Menschen bei weitem. Sie konnten ihre Lebensspanne verlängern - und so nannte man die „die Unsterblichen“, da sie sich bester Gesundheit erfreuten.
Es gab noch andere: z.B. die sogenannten natürlichen Menschen. Die folgten dem Dao, lebten in Übereinstimmung der rhythmischen Muster der Jahreszeiten - mit Himmel und Erde, Sonne, Mond und Sternen im Einklang, Sie wollten dem Weg der alten Zeiten folgen und entschieden sich für ein bescheidenes Dasein. Auch sie erfreuten sich eines langen Lebens.
(“)
*Der Text ([1], s.o.) wurde von mir gekürzt und überarbeitet, um die Lesbarkeit und Verständlichkeit in unserem Zeitalter zu erhöhen und auszugsweise zur Reflexion anzuregen.
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Der Qigong/TaiJi-Kurs SHEN-MAI – freitags 15 Uhr (2G)
Unser wöchentlicher Jahres-Kurs im Park Schöneberg läuft. Aktuell üben wir neben der 13-Taiji-Chen-Form und der ChanSi-Kreise, auch ausgewählte Nei-Yang-Gong-Übungen, wie z.B. „Der unsterbliche Kranich erhebt sich und tanzt.“
Termine finden Sie hier: https://www.mstana-tcm.de/qi-gong-taiji-grp-freitag